Lügen

Lügen

„Sehr geehrter Herr Raible,
unser Sohn ist 11 Jahre alt und wir leben seit 2008 getrennt von seinem Vater. Seit längerer Zeit lügt unser Sohn wegen jeder Kleinigkeit. Auch Gespräche mit ihm und seinem Vater zusammen haben nichts gebracht. Er geht auch das Risiko ein, eine Strafe zu bekommen, wenn er etwas macht, was er nicht darf. So seine Aussage zu uns. Ist es in diesem Alter normal, dass sie sich so Verhalten oder sollte ich mir ernsthafte Sorgen machen? Vielen Dank im Voraus.
MfG S.

Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Frage. Ernsthafte Sorgen müssen Sie sich zunächst nicht machen. Verhaltensweisen lassen sich nach heutigen Erkenntnissen sehr gut analysieren und erklären, Hilfe bereitstellen. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, Ihre Alltagssituation mit Ihrem Sohn zu harmonisieren. Wenn Sie mit dem unten Beschriebenen nicht weiter kommen, kontaktieren Sie uns, wir lassen Ihnen gerne eine individuelle Hilfe zukommen.

Wissenswertes

Bei dem Thema Lügen ist es wichtig zu wissen, dass Kinder hauptsächlich lügen, um Konflikte, evtl. Strafen oder schwierigen Anforderungen zu vermeiden. Es kann viele individuelle Gründe geben warum Ihr Sohn nicht genügend Vertrauen und Anstrengungsbereitschaft für Kulturtechniken (z.B. Lernen, Zimmer aufräumen usw.) und das Lösen von Konflikten aufbaut. Wichtig ist, dass sich Eltern keine Vorwürfe machen und erkennen, dass sie keine Schuld an der Situation haben sondern meistens die einzige Lösung und Hilfe sein können.

Mögliche Ursachen

Ihr Sohn möchte unter Umständen unbewusst deutlich machen, dass ihm die Anforderungen, welche Ihnen als Eltern wichtig erscheinen, „egal sind“, da er sich als nicht ausreichend empfindet oder glaubt, es seinen Bezugspersonen nicht recht machen zu können (geringes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl). Dieses Verhalten kann man beobachten, wenn aus den unterschiedlichen Gründen die Bindungsqualität in der Familie nicht ausreicht. Gründe dafür können die verschiedene Alltagsstressoren sein. Zumindest lässt sich das Lügen auf eine Überforderung mit den jeweiligen Situationen und fehlende Lösungsstrategien zurückführen.

Wichtig ist es, Lügen nicht zu bestrafen, da Kinder dadurch nur noch mehr lügen und intensiver versuchen werden, den Konsequenzen aus dem Wege zu gehen.

Nehmen Sie sich Zeit Ihr Kind zu verstehen

Beobachten Sie das Verhalten Ihres Kindes einmal bewusster: Setzt sich Ihr Kind selber unter Druck, hat es Versagensängste, auffallende Unsicherheiten, ist Ihr Kind schnell unzufrieden, wütend, schläft es unruhig, hat es gehäufte Misserfolge, wirkt es verschlossen? Wie belastbar erscheint Ihnen Ihr Kind?

Wichtig sind auch die Interessen Ihres Kindes, nehmen Sie diese wahr (dies ist wichtig zur Verbesserung der Bindung und zur Erarbeitung von Perspektiven/Belohnungen)?

Eltern sind genauso wichtig wie ihre Kinder

Passen Sie auch auf sich auf? Achten Sie auch auf Ihre eigenen Bedürfnisse?

Reflektieren Sie auch Ihr eigenes Verhalten und Ihre Situation. Die heutige Zeit setzt viele Eltern unter Druck. Können Sie noch oft genug lachen? Unterliegen Sie einem erhöhten Alltagsstress? Reagieren sie vielleicht gereizt? Haben Sie noch ausreichend Geduld, Ruhe und zeigen Sie ein angemessenes Handlungstempo? Führen Sorgen und Ängste vielleicht zu mehr Anspannung zwischen Ihnen und Ihrem Kind? Wie sieht es mit den Erwartungen aus? Brauchen Sie vielleicht selber Ruhe und ein wenig Urlaub?

Es wichtig, dass Sie auch für sich sorgen, denn nur wenn es Ihnen gut geht, können Sie auch Ihrem Kind wirklich helfen.

Mögliche Hilfe

Es ist zunächst wichtig, das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl Ihres Kindes aufzubauen, da Kinder nur so eine ausreichende Stabilität entwickeln können und das Lügen als vermeintliche „Hilfe“ nicht mehr brauchen. Unter Umständen sind Alltagsgewohnheiten zu verändern, um Ihrem Kind mehr, beziehungsweise gezielte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.

Folgende erzieherische Schritte sind daher sehr wichtig:

  1. Zunächst braucht Ihr Kind eine gute Bindungsqualität (Geduld, Ruhe und Liebe), um ausreichend Vertrauen aufbauen zu können. Er muss lernen, dass man Fehler machen darf und zugeben kann, ohne dafür bestraft zu werden. Es mag paradox klingen, aber wir empfehlen, Ihren Sohn im ersten Schritt sogar dafür zu belohnen, wenn er das Lügen, seinen Fehler oder Schwierigkeiten zugibt. So kann Ihr Kind eine korrigierende Erfahrung erleben und lernt, dass nichts Schlimmes passiert, wenn man Fehler macht, und diese entweder wieder gut gemacht hat, oder daraus etwas für die Zukunft gelernt werden kann.

    Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass Ihr Kind dann anfangen wird zu lügen, um anschließend die Belohnung zu erhalten. Kinder in diesem Alter wollen erfolgreich sein und die Erfahrung zeigt, dass sie diese Schlussfolgerung eher selten bis gar nicht ziehen.

  2. Wenn Ihr Kind das Lügen aufgibt, Fehler und Schwierigkeiten zugeben kann, sollte es im nächsten Schritt lernen Verantwortung für einzelne Ziele/Aufgaben zu übernehmen. Hierbei ist es wichtig, dass Eltern ihre Kinder nicht überfordern und sehr liebevoll und anerkennend loben können, wenn sich das Kind auch nur anstrengt. So kann Ihr Sohn durch Erfolge stark werden, sofern er diese mit seinem Verhalten in Verbindung bringen kann.

    Hierbei gilt die Regel: Das Verhalten ist immer wichtiger als die Leistung und die Qualität des Inhaltes. Loben Sie jede Bemühung von Herzen.

    Führen Sie Ihr Kind über eine tiefe Bindung, viel Lob und Anerkennung zum Ziel. Grenzen dürfen bei diesem Thema ausschließlich bei groben Fehlverhalten im sozialen Umgang gesetzt werden und führen dazu, dass Verhalten abgebaut werden kann. Grenzen und Strafen führen fast nie zur Steigerung der Motivation und bauen daher sehr selten ein selbstständiges Verhalten auf.

    Belohnungs-, Tages- und Wochenpläne können hierbei eine große Hilfe sein, funktionieren jedoch nicht ohne gezielte Erziehungsstrategien und Begleitung. Sie dienen der Bewusstmachung und sollten durch tägliche Auswertungen besonders die Erfolge des Verhaltens hervorheben.

    Setzten Sie zum Beispiel Verhaltensziele wie:

    • Ich bleibe freundlich bei Anforderungen (Zimmer aufräumen, Tiere füttern, Hausaufgaben machen) der Eltern.
    • Wenn ich merke, dass ich nicht weiter komme, hole ich mir Hilfe bei meinen Eltern.
    • Ich habe es geschafft, meinen Fehler einzusehen oder zuzugeben.
    • Ich rede mit meinen Eltern, wenn mir etwas nicht passt oder mir was auf der Seele liegt.
    • Ich habe es geschafft zuzugeben, dass ich etwas gemacht habe, was meine Eltern nicht gut fanden.
    • Ich habe rechtzeitig darüber geredet, dass ich etwas tun wollte, es aber nicht getan habe, weil meine Eltern dies nicht mögen.

     

    Ziele zum Aufbau für Verantwortung:

    • Ich habe mein Zimmer selbstständig aufgeräumt.
    • Ich habe mein Schulranzen selbstständig gepackt.
    • Ich war pünktlich usw.

     

    Zeigen sich in den ersten 3 Wochen keine positiven Verläufe, liegt dies höchstwahrscheinlich an ungünstigen Strategien, Strukturen und zwischenmenschlichen Interaktionsmustern. Sie benötigen dann eine individuelle Erziehungshilfe, welche in der Lage ist, die Interaktionsmuster und Alltagsstrukturen Ihres Sohnes zu analysieren. Wir helfen Ihnen gerne dabei.

Bei weiteren Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Freundliche Grüße
Marcus Raible

staatlich geprüfter Ergotherapeut
Lerntherapeut
Verhaltenstrainer